24.01.2021, Mark Langguth
Wie wir alle wissen, ist das Wissen
um Vorerkrankungen, Medikationen und Allergien kann in medizinischen Notfällen
Leben retten und schlimme Nebenwirkungen vermeiden helfen. Daher sollte sich ein Rettungssanitäter
oder Notfallarzt im Idealfall bereits auf dem Weg zum hilfebedürftigen
Patienten über dessen medizinische Kerndaten informieren können.
Die Chancen dafür stehen in
Deutschland eigentlich nicht
schlecht: Mit dem kommenden Digitale
Versorgung und Pflege - Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) wird auf Wunsch des
Patienten eine Patientenkurzakte für
und über ihn angelegt und kontinuierlich durch die ihn behandelnden Ärzte gepflegt.
In dieser sind dann alle wesentlichen aktuellen medizinischen Daten wie Dauerdiagnosen,
Dauer- und Akutmedikationen, Unverträglichkeiten und Allergien, Implantate usw.
strukturiert enthalten. Der Versicherte selbst kann einzelnen Ärzten gezielt Zugriff
darauf gewähren sowie über seine ePA-App lesend auf diese Patientenkurzakte
zugreifen. Eine solche Patientenkurzakte ist generell für die medizinische
Versorgung hilfreich, da sich Ärzte schnell ein umfassendes Bild über ihren
(neuen) Patienten machen können – zum Beispiel im Fall eines Hausarztwechsels.
Das DVPMG führt diese
Patientenkurzakte auch als Weiterentwicklung der Anwendung Notfalldatenmanagement (NFDM) ein, deren Daten bislang direkt auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gespeichert werden
und einen begrenzten Umfang haben. Im Unterschied zu den Notfalldaten wird die
Patientenkurzakte nicht direkt auf der eGK gespeichert, sondern als
Onlinedienst in der Telematikinfrastruktur (TI) angelegt. Während die Notfalldaten
durch die Speicherung auf der eGK immer erst ausgelesen werden können, wenn physischer
Zugriff auf die eGK besteht, ist ein Zugriff auf die Patientenkurzakte von überall
aus und zu jeder Zeit grundsätzlich technisch möglich. Mit den richtigen
Zugriffsschutzmechanismen könnte entsprechend erreicht werden, dass ein Rettungsassistent
oder Notarzt auf dem Weg zum Patienten im Notfall diese Daten einsehen kann, um
perfekt informiert am Ort des Patienten einzutreffen.
Leider wurde der Notfallzugriff auf
die Patientenkurzakte im Referentenentwurf des DVPMG ausgeschlossen. Mit dem
nun verabschiedeten Kabinettsentwurf des DVPMG wurde § 359 SGB V so angepasst, dass
ein Notfallzugriff auf die Patientenkurzakte generell – ohne Einspruchsmöglichkeit
des Versicherten – gestattet wird. Allerdings wird in Absatz 3 auch gleich der
folgende neue Satz 2 eingeführt:
„Im Fall des Satzes 1 Nummer 1 [Notfallzugriff] ist für den Zugriff auf die elektronische Patientenkurzakte der Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte des Versicherten erforderlich.“
Abgesehen davon, dass dieser Satz
außer Acht lässt, dass es neben der eGK zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit der
Patientenkurzakte für den Versicherten auch digitale Identitäten geben kann,
verbietet der Gesetzgeber mit diesem Satz das beschriebene Szenario, in dem ein
Notarzt bereits auf dem Weg zum Unfallort die Notfalldaten innerhalb der
Patientenkurzakte einsehen kann, denn auf dem Weg dorthin besteht natürlich
noch kein Zugriff auf die eGK. Der große
Vorteil der Online-Patientenkurzakte wird damit für die
Notfallversorgung zunichte gemacht!
Hier besteht vor Verabschiedung des Gesetzes dringender Korrekturbedarf
am DVPMG!
Nun könnte man einfach auf die
Einführung dieses neuen Satzes verzichten.
Oder man könnte das Notfallszenario
näher betrachten und daraus ableiten, was es denn eigentlich sinnvollerweise in
Summe braucht, damit eine gute und flächendeckende – und dennoch sichere – Versorgung
mit notfallrelevanten Patientendaten ermöglicht wird, denn in der aktuellen
Fassung des Gesetzes weitere wesentliche Aspekte. So fehlt z.B. derzeit die
Erlaubnis, dass Rettungssanitäter auf die Patientenkurzakte zugreifen dürfen.
Eine Lücke, die der eigentlichen Idee von Notfalldaten zuwiderläuft, denn oft
sind es gerade die Rettungssanitäter, die als erste die Notversorgung vor Ort
übernehmen und entsprechend informiert sein müssten.
Statt nun einen Schnellschuss mit konkreten (technischen) Details gesetzlich zu regeln, bei deren Umsetzung sich erneut Lücken und Schwächen herausstellen und deren Beseitigung eine erneute Gesetzesänderung notwendig machen würde, könnte man erstmalig im Gesetz das zu erreichende Ziel formulieren, statt technische Details vorzugeben. Das zu erreichende Ziel mit den zu erreichenden Aspekten könnte grob formuliert wie folgt lauten:
Basierend auf diesen gesetzlichen Zielvorgaben, könnten die für die Umsetzung der Lösung Verantwortlichen sowie Vertreter der späteren Nutzer iterativ eine IT-Lösung erarbeiten, diese umsetzen, nutzen und – durch die damit verbundenen Lernkurven – kontinuierlich anpassen und verbessern.
Wird hingegen weiterhin auf eher technischer Ebene und im Detail gesetzlich geregelt, sollte das Gesetz folgende Aspekte festschreiben:
Die formulierten Ziele sowie die
beschriebenen Aspekte und Funktionen sind über die TI problemlos und sicher abbildbar.
Tatsächlich wird ein ähnlicher Mechanismus im Gesetz für die Öffnung der Patientenkurzakte
für EU-weite Zugriffe bereits eingefordert. Technisch und sicherheitstechnisch steht
einem solchen System also nichts im Wege. Es ist daher unverständlich, warum
die aktuelle DVPMG-Fassung hier den Versorgungsnutzen unnötig einschränkt.
Da das DVPMG vor der Sommerpause
beschlossen werden soll, ist gerade noch genug Zeit, diese Schwäche im Gesetz
zu korrigieren und die aufgezeigte Verbesserung in der Notfallversorgung
gesetzlich zu verankern. Im Interesse der Patienten sollte dies schnellstmöglich
angegangen werden.
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