05.12.2019, Mark Langguth (vorabveröffentlicht auf Twitter am 03.12.19)
Meine persönliche Stellungnahme zur
Pressemitteilung des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerks zu seiner Veranstaltung am 30.11.2019 in Frankfurt
Pressemitteilung kopiert von
https://ddrm.de/neues-buendnis-zum-schutz-von-patientendaten/
Die Sorge um den Schutz sensibler persönlicher Daten sollte uns alle um- und antreiben. Vor diesem Hintergrund ist es ausdrücklich begrüßenswert, wenn sich Patienten sowie Ärzte (hier stellvertretend gemeint für Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Apotheker) Gedanken darüber machen, ob denn bei den geplanten Vorhaben der Datenschutz hinreichend berücksichtigt wird – und wenn nicht, dass auf diese Missstände aufmerksam gemacht wird.
Damit diese an sich gute Sache funktioniert, sollte sie meiner Meinung nach auf Fakten beruhen und nicht auf nachweislichen Falschaussagen. Diese sind zwar zur Stimmungsmache besser geeignet, erweisen dem Thema an sich aber einen Bärendienst. Denn wenn belegt werden kann, dass die angesprochenen Befürchtungen und Sorgen (scheinbar) ausschließlich auf erfundenen Gefahren und Fehlannahmen beruhen, wird die gesamte Beschäftigung mit dem so wichtigen Thema diskreditiert.
In diesem Sinne würde ich mich persönlich sehr freuen, wenn wir die wichtige Debatte um Digitalisierung im Gesundheitswesen im Allgemeinen und die Debatte um die elektronische Patientenakte im Speziellen, auf Basis belegbarer Fakten sowie validierbarer Prognosen führen würden.
Hierfür möchte ich gerne meinen Beitrag leisten, indem ich die Falschaussagen der obigen Pressemitteilung benenne und ihnen die Faktenlage gegenüberstelle.
“Ärztliche Schweigepflicht über gesetzliche Willkür” – Arbeitsbündnis gegen Datenmissbrauch in der Medizin gebildet
„Frankfurt/Bonn: Am vergangenen Samstag trafen sich in Frankfurt über 20 Datenschutz-Initiativen und zahlreiche kritische Bürger. Eingeladen hatte das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk. Die Teilnehmer einigten sich auf ein gemeinsames Arbeitsbündnis gegen Datenmissbrauch in der Medizin. “Es ist fünf vor zwölf. In einem Jahr sollen alle Daten gesetzlich Versicherter in einer Cloud gespeichert werden und dort nicht nur allen anderen Behandlern eines Patienten, sondern auch der Forschung zugänglich gemacht werden.” so der Netzwerkvorsitzende Dieter Adler.“
Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht falsch, sowohl hinsichtlich der Datenmenge, der betroffenen Versicherten, der Zugriffsberechtigten als auch der Datennutzung:
„Das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk warnt seit Jahren vor den weitreichenden Folgen der Speicherung von Patientendaten an einem zentralen Ort. Aber damit waren sie nicht allein. Viele Initiativen kämpfen in Deutschland für einen besseren Datenschutz der medizinischen Daten und gegen die blindwütige und unüberlegte Zwangsdigitalisierung der Medizin.“
Datenschutz ist sehr wichtig. Wenn „besserer Datenschutz“ verlangt wird, dann ist das löblich. Für eine inhaltliche Debatte ist hierfür jedoch das Ausgangsniveau des Datenschutzes zu betrachten, welches verbessert werden soll. Wenn dann konkrete Schwachpunkte benannt werden, können diese auch nach Möglichkeit verbessert werden.
In Sachen ePA ist für die von der gematik verantworteten Komponenten und Dienste der Datenschutz jedoch schon sehr gut berücksichtigt:
Vor diesem Hintergrund sollte die Forderung nach „besserem Datenschutz“ sicherlich etwas konkretisiert werden. Denn der Datenschutz der TI und der ePA befindet sich durch obige Maßnahmen bereits auf einem kaum zu vergleichenden, extrem hohen Niveau.
Datenskandale der letzten Jahre, besonders in jüngster Zeit, haben bewiesen, dass die Technologie bei weitem nicht so sicher ist wie versprochen.
Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Ist bewiesen, dass deutsche Bergwerke unsicher sind, weil es beispielsweise in China immer wieder zu schweren Grubenunglücken kommt?
Wie ich im Abschnitt zuvor ausgeführt habe, werden für die TI und die ePA Anstrengungen hinsichtlich nachgewiesener Sicherheit unternommen, die in anderen „normalen“ gewerblichen Bereichen der IT unüblich, weil „zu teuer“, sind. Dort wird für Datenschutz und Informationssicherheit nicht in gleicher Form investiert, wie bei der TI und der ePA. Wenn Vergleiche mit anderen IT-Systemen angebracht sind, dann eher im hoheitlichen Bereich der Verschlusssachen. Wieviel Datenskandale gab es da in letzter Zeit?
Selbst die für die Gesundheitscloud zuständige gematik GmbH – überwiegend im Staatsbesitz- mußte unlängst zugeben, dass 90% der Arztpraxen unsicher angeschlossen sind – sprich für Hacker angreifbar. Das konnte der Datenschutzexperte Jens Ernst aus Schwerte nachweisen: vor laufenden Kameras des NDR hackte Ernst eine Arztpraxis im Handumdrehen – selbstverständlich mit Testdaten.
Wie schon an verschiedenen anderen Stellen ausgeführt, wurden die Praxen falsch an das Internet angeschlossen. Ja, hierdurch waren die Praxen angreifbar – und dies gänzlich unabhängig von der TI oder der ePA. Datenskandale der jüngsten Zeit über abgeflossene Patientendaten zeigen genau dies: Die bestehenden Praxis-IT-Systeme unabhängig von der TI und der ePA müssen IT-sicherheitstechnisch gestärkt werden.
Ich behaupte: Wird eine Praxis ausschließlich über den Konnektor via Internet an die TI angeschlossen (Reihenschaltung) und nutzt die Praxis für Online-Aktivitäten ausschließlich die Dienste der TI, so ist die Praxis praktisch so sicher, als wäre sie nicht an das Internet angeschlossen. Sicherheitsprobleme entstehen erst, so auch in den Schilderungen und „Tests“ des Herrn Ernst, wenn Ports neben der TI / dem Konnektor offen bleiben oder leichtsinnig Anhänge von E-Mails unbekannter Quellen geöffnet werden und keine Virenscanner in Betrieb sind.
Dass die Patientendaten mit veralteter Technologie gespeichert werden sollen, hatte die Fachpresse schon lange kritisiert.
Eine Mär, die sich schon lange hält. Welche Technologie der TI oder der ePA soll veraltet sein? Die eGK? Denjenigen, die die eGK als veraltete Technologie bezeichnen, sei geraten, sich ihr Smartphone einmal näher anzuschauen. Was müssen sie dort einsetzen, damit sie überhaupt telefonieren und ins Internet gehen können? Genau: Eine SIM ihres Providers. Was ist eine SIM? Eine Smartcard, ebenso wie die eGK. Veraltet? Offensichtlich nicht, wenn es das Mittel der Wahl für Abermillionen von Kunden ist und sich diese überall im Einsatz befindet.
Der Grund ist einfach: Es gib kaum andere Technologien, die die Aufgabe des Schutzes von Schlüsselmaterial für Verschlüsselung und sicheren Identitätsnachweis sicherer erbringen, als Smartcards. Und es gibt keine andere Technologie, die diese Sicherheitsleistung auch nur ansatzweise genauso günstig erbringt wie eine Smartcard. Daher verlassen sich neben den Telefonprovidern beispielsweise auch die Regierungen dieser Welt auf diese Technologie, wenn sie die Personalausweise und Reisepässe mit genau dieser Technologie ausstatten.
Dass die jetzige Version der elektronischen Patientenakte in der Gesundheitscloud (ePA) ein Milliardengrab ist, musste vergangene Woche auch Gematik Chef Dr. Markus Leyck Dieken in einem Interview mit dem ärztlichen Nachrichtendienst eingestehen: “Damit die ePA in den meisten Arztpraxen pünktlich zum 1. Januar 2021 funktioniert, ist eine vierte Variante des Konnektors erforderlich.” Der Konnektor ist ein etwa 2800 Euro teueres Verbindungselement, das den Praxisrechner über das Internet mit dem Cloudserver der Gesundheitscloud verbindet. Der muss jetzt offenbar in vielen Arztpraxen ausgetauscht werden. Auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherungen.
Auch hier wieder drei Fehler:
Auch Dritte haben jetzt Interesse an den Daten angekündigt. So forderte im Juni der Verband der Betriebsärzte, die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), die Politik auf, ebenfalls Einblick in die Gesundheitscloud zu bekommen. Damit werden Einstellungs- und Weiterbeschäftigungsuntersuchungen zum “Kinderspiel” – der Arbeitgeber kann alle Krankheiten des Arbeitnehmers lückenlos erfahren. Daten- und Persönlichkeitsschutz wird so Farce: wer dem Betriebsarzt den Einblick verweigert, kann die Einstellung oder Weiterbeschäftigung vermutlich getrost vergessen. Und Schwangerschaften würden auch sofort publik.
Wer den Versicherten zwingt ihm Zugang zu seinen Daten zu gewähren, handelt gesetzeswidrig. Dabei ist es unerheblich, ob er den Versicherten zwingt, ihm Zugang zur ePA zu gewähren, ob er den Versicherten zwingt, seine papiergeführte Akte mitzubringen oder ob er ihn zwingt, ihm Einblick in andere privat durch den Versicherten geführte elektronische Dokumentationen zu gewähren. Durch die ePA ändert sich demnach weder die Gesetzeslage noch die Bedrohungslage für Bewerber oder Angestellte. Um das persönliche Risiko weiter zu minimieren (für den Fall, dass ein potenzieller Arbeitgeber ungesetzlich handeln sollte und ein Bewerber sich gezwungen sieht, darauf einzugehen), kann auf das Speichern von potenziell problematischen Dokumenten in der ePA verzichtet werden. Wie bereits ausgeführt entscheidet nur der Versicherte, welche Dokumente überhaupt in seiner ePA gespeichert werden.
Ferner können technischen Zugriff auf die ePA nur kassenärztlich zugelassene Praxen erhalten. Ein Betriebsarzt kann folglich bereits technisch schon gar keinen Zugriff auf die ePA erlangen – unabhängig davon, ob der Versicherte ihn freiwillig oder gezwungen für einen Zugriff berechtigen will.
In einer repräsentativen Umfrage des Psychotherapeuten Netzwerks wussten 44 % der befragten Versicherten nichts von der Gesundheitscloud. 86% lehnten die zentrale Speicherung ihrer medizinischen Daten in der Cloud ab. Vergessen werden darf dabei nicht, dass in der Cloud brisante Daten gespeichert werden. Mit oft weitreichenden Folgen für Betroffene. Während grippale Infekte oder eine Zahnwurzelbehandlung noch harmlos sind, können Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaftsabbrüche, psychotherapeutische Behandlungen und Daten sowie Suchtmittel oder Alkoholabhängigkeit hieraus weitreichende Folgen haben. Nicht zu vergessen: die Daten müssen mindestens zehn Jahre gespeichert bleiben. “Da kann schon mal eine depressive Krise, die bei einem Zwölfjährigen psychotherapeutisch behandelt wurde -vielleicht weil sich die Eltern getrennt haben-, mit 21 noch zum Verhängnis werden: der junge Mensch weiß vielleicht nichts mehr davon – die Akte in der Cloud schon!”
Auch hier wieder eine Reihe falscher oder verfälschender Aspekte:
Das Arbeitsbündnis gegen Datenmissbrauch in der Medizin spricht sich nicht grundsätzlich gegen die Digitalisierung aus. “Wir alle arbeiten mit Computern, speichern dort die Patientendaten ab. Bisher nur in der Praxis selbst, auf Rechnern, die selbstverständlich nicht am Internet angeschlossen sind. Jetzt sollen wir alle zwangsweise am Internet angeschlossen werden und ebenso zwangsweise die Daten unserer Patienten dort ablegen.”, so der Netzwerk-Vorsitzende Dieter Adler.
Diese Aussage ist schlicht falsch. Richtig ist, dass es sich bei der ePA um die Akte des Versicherten handelt. Nur der Versicherte allein entscheidet, welche Daten in seiner ePA gespeichert werden. Und: Der ihn behandelnde Arzt darf ihn hinsichtlich der Frage, welche Dokumente er denn in seiner ePA speichern sollte, gerne beraten!
Das neugegründete Arbeitsbündnis gegen Datenmissbrauch in der Medizin will die Öffentlichkeit informieren und gleichzeitig mit Behandler- und Patientenvertretern sowie Datenschützern neue Modelle der Digitalisierung entwickeln.
Das Informieren der Öffentlichkeit ist gut, wichtig und richtig! Aber bitte nicht mit diesen Falschaussagen / „Fake News“, sondern mit echten Fakten und einer Beschreibung der realen Zustände. Erst dann ist ein sachlicher und zum Wohle des Patienten / Versicherten zielgerichteter Austausch möglich.
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